Zeitungsartikel

Erschienen im Time Magazine/USA, unter den 100 Innovatoren, Herbst 2000 

Vier Fragen zum inneren Frieden
Von Jeffrey Ressner

Zwei Stühle stehen einander gegenüber auf einer Bühne, dazwischen ein Tisch, Sonnenblumen, Kerzen und eine Schachtel Kleenex, um allfällige Tränen abzuwischen. Auf einem der Stühle sitzt jemand aus dem Publikum, im anderen Byron Katie (58), geschieden, Grossmutter, mit weissem Haar und funkelnden blauen Augen. 
In Sitzungen ihres populären Selbstwahrnehmungs-Programms schlicht „The Work“ („Die Arbeit“) genannt, tritt die charismatische Katie auf als eine Mischung von mystischer Lehrerin, wissendem Elternteil und treffsicherer Therapeutin mit Witz.

Zu allem was einen Menschen beschäftigt – „Mein Ehemann versteht mich nicht“ – stellt Katie vier Fragen: Ist Ihr Problem wahr? Können Sie wirklich wissen, dass es wahr ist? Können Sie einen friedfertigen Grund finden, das zu glauben? Wer wären Sie ohne dieses Problem? Mit einer Technik, die Katie „die Umkehrung“ nennt, bringt sie ihr Gegenüber dazu, in sich statt ausserhalb nach einer Lösung zu suchen. „Er sollte mich verstehen“, wird dann beispielsweise zu „Ich sollte ihn und mich verstehen.“ Eine Frau, die an dieser Abendsitzung teilnimmt, beschwert sich über ihre Schwester, die glaube heiliger als alle anderen zu sein. Sie entdeckt, dass sie genau dasselbe macht. Subjektive Urteile werden mit Nachdruck hinterfragt und zeigen sich als persönliche „Projektionen“ und „Geschichten“. Während „The Work“ voranschreitet, klammern sich zwei Frauen trostsuchend aneinander. Ein Mann steht auf und kniet sich wie ein junges Hündchen an Katies Seite, während sie sein langes Haar streichelt.

Trotz dieser New Age Aufmachung (und den volltönenden Volksliedern aus den Lautsprechern) bietet Katies Ansatz, der manchmal an Zen-Meditation, sokratische Befragung und die zwölf Schritte der Anonymen Alkoholiker erinnert, einen pragmatischen und einfachen Weg, Menschen dazu zu bringen, die Verantwortung für ihre eigenen Probleme zu übernehmen. Katie sagt: „Es ist ein Weg, der alles durchdringt und Menschen, die nach ihren eigenen Antworten suchen und nicht nach Antworten in der Welt, die Verantwortung zurück gibt.“

Die ehemalige Immobilienmaklerin und Mutter von drei Kindern hat „The Work“ vor 14 Jahren entwickelt, nachdem sie unter Depressionen, Alkoholismus und Essstörungen gelitten hatte. Auf dem Boden eines Dachzimmers in einer Selbsthilfeeinrichtung liegend, erreichte Katie plötzlich ein Gefühl von „Klarheit“ und sie erkannte, dass ihre Probleme durch ihre Bezogenheit auf „die Welt da draussen“ entstanden waren. Sie begann in ihrem Zuhause in der Mohave Wüste informelle Sitzungen abzuhalten und was sie lehrte, sprach sich immer weiter herum. Von Manhattan Beach, Kalifornien, reist Katie um den Globus, unterstützt von Spendengeldern und dem Verkauf von Kassetten und Videos. Sie hält Workshops für Manager und bringt ihre Botschaft zu jedem Menschen, zu Gefängnisinsassen ebenso wie misshandelten Kindern. „Ich weiss eben, dass Menschen frei sein wollen“, sagt sie, „und wenn ich etwas habe, das Menschen für hilfreich halten, gebe ich es eben so weiter, wie ich es erhalten habe.“

Bildlegende:
Byron Katies Selbsthilfe-Programm, genannt „The Work“ („Die Arbeit“), benutzt eine Vorgehensweise, die an Therapie erinnert, um Menschen eine neue Sicht ihrer Probleme zu vermitteln. „Wenn Menschen alles versucht haben und nichts etwas genützt hat“, sagt sie, „dann bleibt nur noch – als letzte Möglichkeit – nach Innen zu schauen.“ 

Bio
Name: Byron Katie
Warum Kritiker Notiz von ihr nehmen: Katie praktiziert eine Art Lehre, die auch spirituelle Befragung genannt wird; dabei visualisiert, meditiert oder betet man nicht, sondern es werden lediglich wichtige Fragen gestellt.