Begehren (gekürzt)
© Rita Sutter 1999

Ein Begehren ist auch eine Forderung

Meine Begehrlichkeit ist ein Verlangen 

Ich begehre das, was ich jeden Tag sehe, 
ich begehre das, 
von dem ich weiß das es dieses gibt. 

Ich stotterte, weil ich Aufmerksamkeit begehrte, 
ich wurde krank weil ich sie nicht bekam, 
ich wurde zum streuenden Tier auf der Suche 
nach dem Sinn des Begehrens, 
ich begehrte nur etwas Liebe und Zärtlichkeit 
Wärme und Geborgenheit in kindlicher Erwartung. 
Ich forderte nur Menschlichkeit, 
ohne zu wissen wie ich mich fühlen würde wenn ich ihr begegnete 
Ich war nicht lieb, 
nicht höflich, 
ich war ganz einfach feige  

Meine Seele schrie wie ein Tier, 
das dem Geruch des Blutes ausweichen will im Angesicht des Schlachters, 
ich schrie vor Hilflosigkeit und Wut.  

Und ich fühlte mich angeekelt als ich selbst anfing zu bluten 
wie ein abgestochenes Schwein, das dem Schlachter nicht entkommen konnte. 
Hilflos, ohnmächtig, ausgeliefert 

Es war zu fett, zu träge um weglaufen zu können - es wäre auch sinnlos gewesen. 

Meine Oma stellte einen Bottich aus Holz unter das Tier 
was an den Füßen aufgehängt wurde, 
als ihm in den Hals gestochen wurde 
und das Blut erst schnell, pulsierend, 
dann immer langsamer werdend in den Bottich tropfte, 
dann wurde es aufgeschnitten, 
von oben nach unten - ein Schnitt, 
bläulichrötliches Gedärm quoll dem Metzger entgegen, 
es stank entsetzlich. 

Der Schlachter fing dieses Gedärm mit beiden Armen auf, 
und schmiß es auf den gepflasterten Hof wo es zerplatzte. 

Dieses Tier war jetzt nur noch eine Hülle die stank, 
die in Einzelteile zerlegt wurde, 
und Oma trug den schweren Bottich aus Holz mit dem Blut etwas zur Seite 
und rührte mit beiden Händen in dem Blut damit es nicht gerann und unbrauchbar wurde, 
sie lachte dabei und sagte - so sehen wir auch aus. 
Die Blase, der Darm, der Magen, das Herz, die Nieren - alles wie bei uns. 
Auch die Farbe des Fleisches, der Hinterschinken wie bei uns. 

Ich bin oft weggelaufen, 
aber man fing mich immer wieder ein 
so daß ich mit der Zeit nicht mehr weglief, 
ich schwieg und blieb. Ich starb - jeden Tag ein bißchen mehr, 
ich führte mich selbst täglich zur Schlachtbank.  

Mein Begehren war Harmonie und Frieden 
Ich begehrte nach Umarmung, streicheln, das liebhaben, 
nach sanften Tönen, 
und liebevolles morgendliches Erwachen in Geborgenheit. 
 

Ich hörte dann auf zu begehren, 
denn es tat weh von dem fließenden blauen Wasser zu wissen, 
und eine Kloake zu riechen, 
von den Wegen der weißen Wolken am blauen Himmel zu wissen 
und deren Ziel nicht zu kennen. 

Die Position der Sterne zu kennen in der dunklen Nacht 
den Mond zu sehen ohne sie erreichen zu können 
die Sehnsucht zu spüren mit Ketten an den Füßen 
den Wind zu spüren und seine Botschaft nicht verstehen zu können 
und - das Sonnenlicht ließ alles ohne Illusion erscheinen... 

Das singen der Vögel erschien mir wie ein Lied der Freiheit, 
das rauschen der Blätter im Wind wie ein Versprechen 
das alles anders werden wird wenn ich meinen Weg gefunden habe. 

Das Sonnenlicht im Wald schien mir wie das strahlen meines Engels zu sein, 
der mich in meiner Einsamkeit zu sich ruft. 

Ich wollte frei sein, 
wie der einsame Vogel über mir der langsam meinen Blicken entschwindet. 

Ich fand den Weg, meinen Weg. 
Es war ein Weg den ich gehen konnte. 
Wo mein Körper anderen gehörte 
aber meine Gedanken flüchten konnten. 
Es war ein Weg der eingesperrten Träume, 
der unbeweglichen Hände, 
der verkrüppelten Füße, 
der Unterwerfung, 
der Demütigung und der Suche nach dem Begehren 
und dem Sinn meines so erbärmlichen Lebens. 

Die Zerstörung der Ketten beginnt jedoch irgendwie mit Träumen. 

Meine Seele begehrt Freiheit, sie schreit auf, mal stumm, mal laut, mal wimmernd. 
Worte die ich stammelnd hervorbringe werden nicht beachtet, 
Worte, die ich mühsam artikuliere werden nicht verstanden... 
Und so schweige ich. 

Ich besuchte die Welt meiner Träume indem ich Drogen nahm, 
um meine Eltern nicht töten zu müssen. 
Ich zerstörte mich selbst 
ich ritualisierte mein tägliches Sterben 
und suchte einen Weg, der am Anfang des Regenbogens beginnen sollte. 

Der Schmerz ließ mich meine Gefangenheit spüren, 
der unerträgliche Schmerz definierte mein Dasein 
und ließ mich einfach zur Teilnehmerin in diesem Spiel werden das ich nicht verstand. 

Ich betete vor dem Kreuz mit dem genagelten Christus um Erlösung 
und wurde aus dem Haus Gottes gewiesen weil ich wie eine Streunerin aussah. 

Das sterben erschien mir wie Körperlosigkeit, 
wie das loslassen können an dem meinem Leben, 
welches ich trotz alledem immer noch festhielt mit 
dem Begehren - ich wußte immer, daß es noch etwas anderes geben mußte 
und in meinen Träumen tanzte ich auf dem Regenbogen 
zu einer Symphonie in der Nacht von mir selbst komponiert. 

Und - ich begegnete in dem dunklen Tunnel einer Frau, 
einer gütigen, sanften Frau, 
die mich von Liebe erfüllt umarmte, 
die mich mit ihrer Liebe unsichtbar machte, 
so daß ich zurückkommen konnte in das Zimmer wo ich lag. 
Angeschnallt mit dicken hellbraunen Lederriemen, 
von Ärzten umringt, die verzweifelt versuchten mich zurückzuholen, 
obwohl ich gar nicht wollte. 
Sie hörten mich nicht. Und mit irgendwelchen Maschinen traktierten sie meinen Körper, 
quetschten ihn und zerstachen ihn mit Nadeln. 

Ich fühlte mich so leicht, so getragen, so wohl - so unsagbar wohl. 
Ich wollte nicht zurück - Nein, ich will nicht - Nein! 

"Geh zurück wurde mir gesagt, noch ist hier für dich kein Platz." 
Es war so warm, so hell, so angefüllt mit Harmonie 
und tiefer Übereinstimmung meiner Träume. 

"Geh zurück!" 

Und ich ging zurück in mein Delirium, 
in diesen fürchterlichen Alptraum der meine Daseinsform war.