Alter
"Aberglaube"
Es gibt wenig Grund, an paradiesische Zustände in grauer Vorzeit zu glauben. Schon der frühgeschichtliche Homo sapiens hat seine waffenbauende und fallenstellende Intelligenz gegen die Tiere eingesetzt. Aber er hatte doch sehr lange damit zu tun, die Mitbewohner des Planeten Erde, die lange vor ihm und in weitaus größerer Zahl existierten, zu unterjochen. Seine Überlegenheit war keineswegs von vornherein eindeutig. Tiere konnten sich wehren, und sie hatten Kräfte, um die er sie beneidete und denen er mit Magie zu begegnen suchte. Die
Antilope lief schneller, der Tiger war stärker, der Vogel konnte
fliegen, allen Tieren sind bewunderungswürdige Talente eigen. Die
Achtung und auch die Furcht vor den Fähigkeiten der Tiere zieht sich
noch weit in geschichtliche Zeiträume hinein; sie sicherte ihnen
einen Rang, der bis zur Vergöttlichung reichte. Tiere
waren die Träger von Offenbarungen der Götter, deren irdische
Gestalt. Die Himmels- und Liebesgöttin Hathor, die zu Isis wurde, hatte Kuhgestalt; der Schutzgott des Pharao und mit diesem identifiziert war ein Falke; den Gott des Wissens, Thot, verehrte man als Pavian oder Ibis; den Totengott Anubis als Schakal - und so fort in verschiedenen zeitlichen und regionalen Abwandlungen. Selbst der Skarabäus, bei uns Mistkäfer genannt, verkörperte die geheimen Kräfte des Seins. Auch "Schädlinge" wie die Giftschlangen hatten göttlichen Charakter. Man gab ihnen Milch, statt sie totzuschlagen. Im ersten vorchristlichen Jahrtausend verselbständigten sich die Kulte so weit, dass die Tiere selbst Verehrungsobjekte wurden. Wer
ein heiliges Tier tötete, berichtet Herodot, dem drohte die Todesstrafe,
oft auch dann, wenn es nur versehentlich geschah. Tote Tiere wurden in
der ihnen jeweils geweihten Stadt beerdigt, sie wurden mumifiziert und
hatten Teil an der Unsterblichkeit. Die Beschimpfung "blödes Rindvieh" oder "dumme Kuh" aus dem Munde eines alten Ägypters ist undenkbar. Von
ähnlichen Vorstellungen getragen waren unzählige andere asiatische
und vorderasiatische Tierkulte. Auch
der Venus war die Taube heilig, wie der Athene die Eule, dem Zeus Adler
und Schlange. Es
liegt auch nahe, die in der Mythologie überlieferten Verwandlungen
der Götter in Tiergestalten und Mischwesen wie Sirenen oder Zentauren
nicht als spielerische Phantasieprodukte zu sehen, sondern als Reste älterer
Vorstellungen, in denen keine scharfe Trennung zwischen Tieren, Menschen
und Göttern bestand. Blutige Opferrituale ziehen sich durch die ganze Menschheitsgeschichte und sind heute noch in verschiedenen Teilen der Welt üblich, so bei den Festen einiger hinduistischer Gottheiten oder beim Woo-Doo-Kult in Haiti. So
furchtbar sie uns anmuten, lassen sie doch dem Schlachttier eine Spur
Würde. Dem Zicklein, dem Schaf, dem bekränzten Stier dürfte
es zwar nicht viel geholfen haben, dass ihrer Hinrichtung zaubergläubige
astrologische Berechnungen zugrunde lagen oder dass man sie vorher mit
geweihter Gerste bestreute; immerhin wurden sie im Leben gut, oft besonders
respektvoll, gehalten und waren nicht schlimmer dran als die Menschenopfer,
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