„Die Tiere haben keine Möglichkeit,
dem größten Raubtier auf dieser Erde
- dem Menschen - zu entkommen."

„Die Metzelei an den Tieren ist wesentlich verursacht durch die Kirche"
Kirche spricht den Tieren bis heute die Seele ab

Prof. Dr. Hubertus Mynarek ist nicht nur einer der bedeutendsten Kirchenkritiker Deutschlands, sondern auch der Begründer eines ökologischen Humanismus und Autor des Buches »Ökologische Religion«.

Wir treffen Prof. Dr. Mynarek zu einem Interview in Frankfurt, wo er anlässlich des 29. Evangelischen Kirchentags in Frankfurt als Redner zu einem Podiumsgespräch eingeladen ist.

Im Italienischen Restaurant bestellt Hubertus Mynarek einen grünen Salatteller und anschließend Pasta - vegetarisch, versteht sich.

Frage: Herr Mynarek, Sie haben einmal gesagt: »Für die Tiere ist jeden Tag KZ.«.

Der jüdische Philosoph Peter Singer drückte es einmal ähnlich aus: »Für die Tiere ist jeden Tag Treblinka«. - Treblinka und Auschwitz waren Massenvernichtungslager, in denen Menschen einer brutalen, lebensverachtenden Ideologie, der Willkür ihrer Aufseher und dem sicheren Tod ausgeliefert waren. Kann man diesen Vergleich zu den Tieren wirklich so ziehen?

Hubertus Mynarek: Das schlimmste KZ bereiten wir den Tieren!

Wo immer die Tiere sind - ob sie in Legehennenbatterien sind, ob sie in der Wildnis sind, im Urwald, in der Savanne, in den Steppen - sie werden ja überall gejagt, überall verfolgt. Sie haben keine Möglichkeit, dem größten Raubtier auf dieser Erde - dem Menschen - zu entkommen. Es sind kleine Eliten, kleine Gruppen von Menschen - im Vergleich zu den sechs Milliarden Weltbevölkerung -, die wirklich diese Sensibilität, diese Spiritualität haben und sagen: »Die Tiere sind ebenso empfindende Lebewesen wie wir. Sie haben also ein Recht zu leben.«

Wir müssen die Menschenrechte - längst ist das gefordert von vielen Philosophen - ausweiten auf die Tiere. Aber, wie gesagt, die meisten Menschen haben das noch nicht durchschaut. Es ist ganz sicher, dass kein Mensch zu echter Vervollkommnung kommt, wenn er nicht einsieht, dass er den Tieren kein Leid zufügen darf.

Frage: Die Kirchen sehen das anders: So wird im katholischen Katechismus bis heute erklärt, man dürfe Tieren »nicht die Liebe zuwenden, die einzig Menschen gebührt«: Gott habe die Tiere unter die Herrschaft der Menschen gestellt - und man dürfe sich ihrer zur Ernährung bedienen. Der evangelische Katechismus spricht von Tieren als »nichtpersonale Kreaturen«. Welchen Anteil hat die Kirche am Leid der Tiere?

Hubertus Mynarek: Sie hat einen ganz gewaltigen Anteil, weil die Kirche von Anfang an nur den Menschen als beseeltes Geschöpf Gottes gesehen, während sie die Tiere als ausschließlich körperliche Wesen betrachtete, mit denen der Mensch nach seinem Gutdünken umgehen kann. Sie hat den Tieren die Seele abgesprochen. Thomas von Aquin, ihr größter Lehrer, sagt zwar: Die Tiere haben eine Seele, aber sie haben nur eine sinnliche Seele, die mit dem Tod zu Ende geht. Die Kirche hat den Tieren jegliches Bewusstsein, jedes Recht auf Leben abgesprochen. Dazu kommt, dass die Kirche immer eine - einmal bewusstere, einmal unbewusstere - Verachtung der Natur hatte und leibfeindlich war. Die Tiere wurden einfach nur dem Körperlichen zugeordnet, was also die Verachtung der Tiere und Pflanzen immer mit eingeschlossen hat.

Die Kirche hat niemals etwas gegen die Jagd unternommen. Im Gegenteil: Sie hat die Eröffnung einer Jagd stets gesegnet. Die Früchte der Jagd - das heißt die erlegten Tiere - wurden von der Kirche gesegnet. Da gab es bestimmte Rituale der Kirche in allen Jahrhunderten. Die Erzbischöfe und Kardinäle haben sich selbst als Schützen an der Jagd beteiligt. Die Bischöfe waren ja oft zugleich Fürsten, und als solche haben sie große Jagdfeste veranstaltet und die ganze Prominenz, die es damals gab, zu Jagden eingeladen. Fast alle Fürstbischöfe haben große Jagdreviere besessen. Die Metzelei an den Tieren, dieses KZ, das durch die Jahrhunderte geht, ist wesentlich verursacht durch die »Mutter Kirche«.

Frage: Jetzt haben wir ja gerade hier in Frankfurt den evangelischen Kirchentag. Der Papst hat 2000 Bratwürste mit einem Gruß an die evangelischen Brüder geschickt. Kapuzinermönche verkauften die katholischen »Knacker« an die Kirchentagsbesucher.

Hubertus Mynarek: Das ist eine Schande! Es ist ein absoluter Skandal, dass ein Papst nicht nur symbolisch, sondern tatsächlich zeigt: Ich legitimiere und saktioniere die Tötung von Tieren, indem ich dem evangelischen Kirchentag Würste schicke.

Frage: Die Kapuzinermönche waren ganz stolz darauf, dass die Würste aus der vatikaneigenen Hausschlachterei kamen.

Hubertus Mynarek: Die vatikanische Hausschlachterei - das ist sowieso ein Skandal!

Da sieht man: Sie glauben selber nicht an ihren Gott der Liebe.
Denn wie kann ich an einen Gott der Liebe glauben, der nur einen Teil der Schöpfung liebt und den anderen zur Tötung freigibt?

Sie waren als Dekan der theologischen Fakultät der Universität Wien Insider und haben mit Bischöfen gespeist. Wie sind denn die Essgewohnheiten der Würdenträger?

Hubertus Mynarek: Sie fragen mich nach den Essgewohnheiten der Würdenträger? - Na also, ich möchte Ihnen nicht wünschen, in einem bischöflichen oder erzbischöflichen Palais mitzuerleben, was da an Fleischgängen im Rahmen eines Festessens serviert wird. Das ist eine Schande ohnegleichen. Und die Würdenträger haben, wenn es um ihren Bauch und den Genuss ihres Bauches geht, nicht die geringsten Hemmungen, Hekatomben von Tieren dafür zu opfern.

Frage: Basilius von Cäsarea (329-379 n. Chr.), ein Urchrist sagte: »Fleischspeisen verdunkeln das Licht des Geistes« - und seien einer christlichen Tafel, unwürdig.

Hubertus Mynarek: Ich bin sicher, dass Fleischgenuss nicht nur die Seele verdunkelt, sondern sogar verhärtet. Er verhärtet sie, er macht sie unsensibel. Ich bin überzeugt, dass es eine spätere Menschheit einsehen wird, dass das Töten von Tieren dem Töten von Menschen durchaus gleichkommt.

Frage: Gehört das Fleischessen zum Christentum?

Hubertus Mynarek: Wenn man die Entwicklung der Kirchengeschichte sieht, würde man das fast glauben, aber echtes Christentum kann und muss ohne Fleisch auskommen. Denn wie kann man eine eigene Humanität, eine eigene Menschlichkeit, eine eigene Vervollkommnung ansteuern und realisieren, wenn man zugleich weiß, dass man unsere Brüder und Schwestern, die Tiere, tötet. Es ist unmöglich, eine höhere Spiritualität zu erreichen, wenn man Tiere schlachtet.

Frage: Und die Politik?

Hubertus Mynarek: Was man ja nicht vergessen darf: Die CDU und CSU - dem Namen nach christliche Parteien - haben verhindert, dass der Tierschutz in die Verfassung aufgenommen wird. Es ist ein Skandal sondergleichen, dass ausgerechnet die sogenannten christlichen Parteien sich als die Parteien der Agrarlobby immer wieder etabliert haben, dass auch Angela Merkel jetzt vor kurzem gesagt hat, wir müssen die große Agrarwirtschaft wie vorher unterstützen.

Frage: Am Dienstag war deutsch-französisches Gipfeltreffen in Freiburg. Schröder und Chirac haben Rehnüsschen und Forellen gegessen.

Hubertus Mynarek: Im Augenblick ist es so: Wegen BSE-Krise und Maul- und Klauenseuche glauben die Leute, dass sie ja schon sehr, sehr menschlich sind, wenn sie jetzt auf Fische umsteigen - als ob Fische keine lebenden, keine empfindenden Wesen wären.

Auch da gibt es keine Hemmungen. Man sieht unsere säkularisierten Politiker auf jedem Kirchentag sich unwahrscheinlich mit evangelischen und katholischen Kirchenführern solidarisieren - dann aber haben sie sowieso nicht die geringsten Skrupel Lebewesen - hoch entwickelte Lebewesen, Lebewesen, die im Stufenbau der Evolution sehr hoch stehen, die ein sehr hochentwickeltes Nerven- und Gehirnsystem haben - zu töten um des Genusses ihres Bauches willen.

Gerade im christlichen Abendland ist das so eine Sache: Schon bei Voltaire unterhält sich ein Engländer mit einem Inder. Der Engländer fragt den Inder: »Was halten Sie vom Beefsteak?« Und der Inder antwortet: »Wir pflegen unsere Brüder nicht zu verspeisen.« Das heißt also: Das hohe Abendland mit seinen großen Menschenrechten steht unter anderen Kontinenten und Völkern.

Frage: Bei besagtem Gipfeltreffen soll Schröder und Chirac eine freche Jugendzeitung überreicht worden sein mit dem Titel: »Die Kadaverfresser sind unter uns!«

Hubertus Mynarek: Sehr gut! Das sind die eigentlichen Rebellen heute, die es wagen, gegen den Tiergenuss, gegen den Tiermord aufzubegehren, und das den Herren Politikern, die doch die Zivilisation und die Idee eines Werteeuropas vorantreiben sollen, unter die Augen halten.

Die Tiertötung geht ja weiter! Der Rinderverbrauch ist schon wieder so groß wie früher, der Schweinekonsum wird sich auch wieder »normalisieren«. Die Leute sind einen Augenblick durch die BSE-Krise und die Maul- und Klauenseuche irgendwie reflexer geworden, haben sich mehr Gedanken gemacht. Aber unsere Konsumwelt weiß: Jede Sensation hat nur eine kurze Dauer, danach können wir fortfahren wie bisher - die höchste Maxime, das höchste Ideal ist der Profit. Und solange das der Fall ist, wird das furchtbare KZ, das KZ für die Tiere, weiter bestehen.